Sara Kalling: Das Geheimnis des Gondoliere
Bella ist eine berufstätige Frau, die sich
klare Ziele setzt. Eines davon ist es, die beendete Beziehung mit Lars
endgültig ad acta zu legen. Um mehr Abstand zu bekommen, fährt sie mit ihrem
schwulen Freund Dirk nach Venedig. Beide erhalten dort die Chance auf eine neue
Liebe.
Doch zunächst müssen sie das mysteriöse
Verhalten von Bellas neuer Eroberung aufklären. Eine Verfolgungsjagd durch die
Gassen und über die Brücken der Lagunenstadt führt sie an ihr Ziel heran. Große
Meisterwerke in den Kirchen der Stadt begegnen ihnen, die mal mehr und mal
weniger die Aufmerksamkeit der Reisenden finden. Denn immer wichtiger werden
die kriminellen Machenschaften, die Bella und Dirk aufdecken und die im
Zusammenhang mit einem Brand stehen. Bella setzt alles daran, um eine
gemeinsame Zukunft mit ihrem venezianischen Verehrer zu ermöglichen. Wird sie
dieses Ziel erreichen?
Die folgenden Fotos sollen den Leserinnen und Lesern Schauplätze aus dem Roman zeigen und sind mit entsprechenden Zitaten aus dem E-Buch versehen. Im Anschluss an die Bildfolge gibt ein Lesebeispiel weiteren Einblick in die Story.
Bildquellen: Birgit Winter / pixelio.de (Teatro La Fenice), Ralf Friedrich (alle anderen Bilder)
Leseprobe aus Kapitel 9
Die beiden Venedig-Touristen machten sich auf den Weg und
hatten es nicht besonders eilig. Sie setzten ihre Sonnenbrillen vor die
lichtempfindlichen Augen und teilten sich einen Rucksack für den Ausflug.
»Mein Kreislauf ist ganz unten«, klagte Bella. »Ich könnte
noch so einen leckeren Prosecco vertragen, der vorgestern in der kleinen
Trattoria ausgeschenkt wurde. Die liegt ohnehin fast auf unserem Weg.
Vielleicht bringt das meinen Blutdruck in Schwung.«
Sie trotteten also wieder in die schmale Gasse, in der sie
ihren ersten Abend mit Francesco und Lorenzo verbracht hatten. Die Sonne schien
diesmal zwischen die eng stehenden Häuser und erhellte sogar einen kleinen Teil
des Lokals. Eine Frau mit weißer Bluse und dunkelblauem Rock stand hinter dem
Tresen. Einziger Gast war eine hübsche Italienerin mit langen schwarzen Haaren
und einem hellen geblümten Sommerkleid, die aufgeregt auf die Bedienung
einredete und dabei mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. In einer Vitrine
lagen Brötchen, die aussahen wie Miniversionen deutscher Vollkornbrötchen.
Teilweise war sogar Sesam oder Mohn darauf. Belegt waren sie mit Tomate und
Mozzarella, mit Schinken oder mit Salami.
»Endlich was vernünftiges am Morgen«, sagte Dirk, der sich an
das bescheidene Frühstück bei Paolo nicht gewöhnen konnte. Sie bestellten sich
eine Auswahl davon und zwei Gläser Prosecco dazu. Alles hatte komischerweise
den Einheitspreis von 2 Euro.
Im Hinterzimmer war niemand zu sehen. Sie suchten sich genau
den Tisch aus, an dem sie schon mit Francesco und Lorenzo an ihrem ersten
gemeinsamen Abend gesessen hatten und konnten über das Spiegelband an der Wand
die beiden Frauen im vorderen Raum beobachten. Ihr Gespräch schien immer
dramatischer zu verlaufen. Das hielt die Bedienung nicht davon ab, eine Flasche
Prosecco zu öffnen und zwei Gläser einzuschenken. Sie schob die Glasscheibe der
Vitrine beiseite und platzierte sechs Minibrötchen auf einem Teller.
Währenddessen redete die hübsche Frau unablässig auf sie ein. Als die Kellnerin
die Gläser und den Teller auf ein Tablett gestellt hatte, ließ sie ihre
Gesprächspartnerin kurzerhand mit ihrem Redeschwall stehen und brachte die
Bestellung zu den Gästen nach hinten.
»Prost«, sagte Dirk und stieß mit Bella an. Der erste Biss
bestätigte ihre Hoffnungen auf ein vollwertiges Frühstück. Das Leben konnte so
schön sein! Dirks Blick in das Spiegelband beendete dieses Wohlgefühl leider
schneller als erwünscht. Er zuckte zusammen. Durch die offene Eingangsfront,
deren Türen sich beiseite schieben ließen, betrat Francesco die Trattoria. Dirk
stupste Bella an und deutete auf das Spiegelband. Francesco grüßte die
Bedienung kurz und ging dann auf die Frau mit den langen Haaren und dem hellen
Sommerkleid zu. Sie fiel ihm um den Hals und begann zu weinen. Francesco strich
ihr das Haar zur Seite, küsste sie auf die Stirn und sie legte ihren Kopf an
seine Schulter. Bella war wie schockgefrostet. Ihre Gedanken schossen wie
Blitze durch ihren Kopf. Sie dachte an die letzte Nacht, ihre Gefühle für
Francesco, die Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft, fragte sich, ob er ein
Lügner war und gleichzeitig hatte sie Angst davor, dass diese Frau eine
wichtige Rolle in seinem Leben spielen könnte. Bella wurde plötzlich
schwindelig und übel gleichzeitig, doch sie versuchte Haltung zu bewahren. »Was
gibt das denn?«, fragte sie Dirk leise und gefasst.
»Keine Ahnung, lass uns alles ruhig beobachten«, flüsterte er
zurück.
Die hübsche Italienerin hatte sich von Francesco gelöst und
hob nun die Arme in die Höhe. Sie bot ein Bild der Verzweiflung. Francesco ging
wieder auf sie zu, umarmte, küsste und streichelte sie. Die Bedienung mischte
sich ein und eine erregte Diskussion entspann sich im vorderen Raum. Bella
bedauerte es in diesem Moment der Gefühlsaufwallung, die italienische Sprache
nicht zu beherrschen. Gebannt beobachtete sie die Vorgänge im Schankraum. Auf
einmal drehte Francesco sich in Richtung des Ausgangs um und hob kurz die Hand
zur Verabschiedung.
»Er hat uns nicht im Hinterzimmer entdeckt«, bemerkte Dirk.
Bella lehnte sich im Stuhl zurück, atmete tief durch und
sagte entschlossen: »Wir müssen ihm folgen. Er hat mir geschrieben, dass er für
eine japanische Reisegruppe gebucht ist und deshalb den Tag nicht mit uns
verbringen kann. Ist das hier sein eigentlicher Termin? Er hat die verzweifelte
Frau mehrfach in den Arm genommen und geküsst. Ich will wissen was da los ist
und wohin er jetzt geht.«
Beide standen auf und gingen zur Theke. Dirk zog sein
Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche und überlegte, dass das abgebrochene
zweite Frühstück mit 16 Euro zu Buche schlug. Er legte 18 Euro auf die
Glasplatte der Vitrine mit den schmackhaften Brötchen und dachte wehmütig an
den entgangenen Genuss. Bella bewegte sich unterdessen vorsichtig zur Türfront
und sah Francesco nach. Sie wich zurück und fasste Dirk an den Arm: »Salvatore,
der Wirt, kam gerade die Gasse entlang und jetzt reden sie miteinander.«
Vorsichtig lugte sie wieder um die Ecke. Das Gespräch war noch nicht beendet.
»Willst du ihm wirklich folgen? Stell dir vor, er sieht uns«,
gab Dirk zu bedenken.
»Es ist bereits Mittwoch. Wir haben nicht mehr viel Zeit in
Venedig und ich habe die tollste Nacht meines Lebens hinter mir.« Bella sah
nicht ein, auf ihr Vorhaben zu verzichten. »Ich muss unbedingt wissen, warum er
mich belogen hat, wohin er geht und will ihn zur Rede stellen. Vielleicht ist
alles ganz harmlos und ich bin dann beruhigt, weil die Reisegruppe den Termin
verschoben hat und er die Japaner jetzt erst treffen kann.«
Die verzweifelte Frau an der Theke kam ein paar Schritte auf
sie zu und sprach sie in Italienisch an. Sie erwähnte das Wort Francesco. Bella
hörte gar nicht hin, sie war zu aufgeregt und zog Dirk zur Türfront. Um die
Frau, die hoffentlich nicht Francescos Geliebte war, könnte sich erst mal weiterhin
die Bedienung kümmern. Ihr Interesse richtete sich ganz auf den Gondoliere und
seinen weiteren Tagesverlauf.
Das Gespräch draußen war mittlerweile beendet und sie konnten
Francesco noch ein ganzes Stück weiter auf der Gasse erkennen. Sie liefen los
und im Vorübereilen grüßten sie Salvatore, der ihnen erstaunt hinterher sah.
Sie waren sich nicht sicher, ob er sie überhaupt erkannt hatte. Francesco
verschwand am Ende der Gasse nach rechts und Bella beschleunigte ihren Schritt
nochmals. Die Straße, auf die er eingebogen war, war sehr viel belebter als der
Weg zur Trattoria. Es war die wohlbekannte Verbindung vom Bahnhof Richtung
jüdisches Viertel, Cannaregio und San Marco. Dirk erkannte in dem
Spirituosengeschäft auf der anderen Straßenseite die Verkäuferin wieder, die
sich über seinen eigenmächtigen Likörausschank empört hatte. Der Gondoliere war
leider nicht mehr im Gewimmel zu entdecken. Bella ging trotzdem schnell weiter
und lief im Slalom durch die Touristen hindurch. Einige Meter weiter befand sich
auf der linken Seite die Bogenbrücke über den Canal Grande, die zur
Eierbecher-Kirche führte.
»Da ist Francesco!«, rief Bella, die ihn erspäht hatte. Er
stieg gerade die Stufen der Brücke hoch und war fast auf dem Scheitelpunkt
angekommen. Sie rannte wieder entschlossen los und Dirk musste aufpassen, dass
er nicht abgehängt wurde. Francesco hatte offensichtlich den Weg zur
Frari-Kirche eingeschlagen, den sie an ihrem Ankunftstag für ihren ersten
Rundgang gewählt hatten. Auf der anderen Kanalseite sahen sie noch, wie er nach
links abbog und pirschten sich an die Mauerecke zur Abzweigung heran. Francesco
unterhielt sich einige Meter weiter mit einem Ladenbesitzer. Neben ihnen wurden
an einem kleinen Kiosk Hüte verkauft. Bella beobachtete Francesco weiterhin und
forderte Dirk dabei auf, zwei Kopfbedeckungen zu besorgen. Eine Sonnenbrille
trugen sie bereits und konnten sich mit den Hüten touristischer und
unauffälliger aussehen lassen. Die erworbenen Kopfbedeckungen wirkten wie
normale Strohhüte. Da Francesco immer noch mit dem Ladenbesitzer redete, wandte
Dirk seine Aufmerksamkeit dem Schild im Hut zu. »Made of Paper in PRC. Die
Chinesen haben das aus Papier gemacht. Dafür sieht es verdammt gut nach Stroh
aus«, sagte er zu Bella, die nicht sehr beeindruckt wirkte. Sie hatte nun
wirklich anderes im Sinn als Papierhüte aus China zu bestaunen. Hauptsache, sie
waren zur Tarnung geeignet.
»Los!«, rief sie. Francesco hatte seinen Plausch beendet und
verschwand nach rechts in eine andere Gasse. Er war nun circa 50 Meter vor
ihnen. Als sie um die Ecke schauten, hatte sich die Entfernung zu ihm
glücklicherweise nicht verändert. Jetzt hieß es auf der sehr geraden Strecke an
einem Kanal noch vorsichtiger zu sein als bisher, damit sie nicht entdeckt
würden. Als der Verfolgte kurz stehen blieb diente Bella und Dirk die Tür eines
Souvenirladens als Versteck. Ein Verkäufer kam auf sie zu und hatte anscheinend
schon Hoffnung, ein paar Masken mit langen Nasen zu verkaufen, die im Eingang
hingen. Bis zu den vermeintlichen Kunden schaffte er es nicht mehr, weil
Francesco seinen Weg fortsetzte und diesmal nach links über eine Brücke hinter
einer Hauswand verschwand.
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